Die Kultur folgt der Struktur

Kultur folgt der Strukur
Von Sebastian Schneider // 09.11.2020 // 0 Kommentare

Die Kultur folgt der Struktur. Dieses fünfte Gesetz aus den Organisationsgesetzen von Craig Larman ist für mich in den aktuellen Tagen sehr bewusst. Wenn du in deiner Organisation an ein Verhalten appellierst, welches deine Struktur nicht unterstützt, dann wirst du damit kläglich scheitern. Ich gehe da noch einen Schritt weiter und stelle die These auf, dass ist in jedem System so. Am Ende möchte ich dann damit schließen, dass viele Strukturen nicht zu einer Kultur passen, in der Scrum gedeihen kann.

Kultur und Struktur - was ist das?

Damit wir zwischen Kultur und Struktur unterscheiden und wirklich verstehen können, was es bedeutet, wenn wir sagen, Kultur folgt der Struktur, ist es wichtig einige Definitionen aufzustellen und zu überprüfen.

Wie wir eine Kultur verstehen können

Ein Blick bei Wikipedia hilft, um zu verstehen, wie eine Kultur definiert wird. Mit "alles vom Mensch Geschaffene und Gestaltete" fahren wir schon recht gut. Wichtig ist nur, dass wir begreifen, dass das auch für unser Unternehmen oder unser Team, in dem wir Scrum nutzen, gilt. Es geht also immer um den Kontext. Wenn wir über eine Organisation sprechen, dann ist die Kultur das Ergebnis von den Menschen, die zusammen kommen, Dinge entwerfen, Ansichten generieren, Werte und Prinzipien entwickeln und sich danach richten - oder auch nicht.

Welche Auswirkungen Strukturen haben

Schaust du dir nun die Strukturen an, die in Unternehmen oder Organisationen herrschen, dann stellst du schnell fest, dass diese einen Einfluss auf die Kultur haben (müssen).

Das wird schnell klar, denn nehmen wir an, dein Chef hat einen Hang zur Diktatur, dann werden sich die Menschen anders verhalten, als wenn er alle Entscheidungen delegiert. Das von den Menschen Geschaffene sieht dann anders aus. Das ist erstmal nicht gut oder schlecht, sondern einfach anders.

Welche Auswirkungen haben Systeme?

Systeme können unabhängig oder aber mit anderen System verbunden sein. Ändert sich ein Kontext, können sich zwei Systeme in Schwingung bringen, die Systeme gehen also in Resonanz mit anderen. Nur mit der Resonanz als Grundlage von Informationen und Kommunikation, ist eine Kommunikation möglich. Zudem ist es die Grundlage für das Verstehen.

Die Wahrheit ist immer ein Kind des Ortes und der Zeit – gezeugt von Menschen im Dialog

Enrst Weichselbaum

Objekte und Dinge sind erstmal ohne Information. Erst durch Betrachtung (eine Perspektive), das Fühlen (eine andere Perspektive) oder auch das Hören (noch eine andere Perspektive) sind wir in der Lage ein Objekt (z.B. einen Apfel) zu "begreifen". Wir gehen also in Resonanz mit diesem Objekt.

Je mehr Perspektiven wir einnehmen können, desto mehr Informationen können wir aufnehmen, desto mehr können wir mit unterschiedlichen Systemen interagieren und letztlich mehr Grundlagen für die Kommunikation und das Verstehen entwickeln. Wenn wir alle in einem System sind, ist es wichtig, dass wir alle das System gleich verstehen und unterschiedliche (unvoreingenommene) Perspektiven einnehmen können. Aus systemischer Sicht ist das elementar.

Isolierte Lösungen können natürlich immer zu einem Ergebnis kommen, der systemische Kontext in dem wir diese Lösung betrachten entscheidet aber letztendlich, ob das tatsächlich für ein Gesamtsystem Wirkung erzeugt oder aber nicht. Letzteres dann eben, weil nicht alle betrachtenden Parteien "resonant" waren.

Der Versuch, die Kultur einer Organisation zu verändern, ist eine Torheit, er scheitert immer. Das Verhalten der Menschen (die Kultur) ist ein Produkt des Systems; wenn man das System ändert, ändert sich das Verhalten der Menschen".

John Seddon

Verständnis des Systems

Ein System lebt nicht, ist weder gut noch schlecht. Es existiert und wie groß oder klein das System ist, hängt immer von der Betrachtung ab und wie das System in einen größeren Kontext eingebettet ist.

Kultur folgt der Struktur

Wenn wir eine Struktur verstehen können, dann wissen wir (in etwa) welche Kultur sich etablieren kann. Eine offene Kultur wird sich also weder in Organisationen noch in Gesellschaften etablieren, wenn Diktatoren und Denunzianten regieren. Ich muss also etwas an der Struktur ändern.

Die Kultur folgt der Struktur

Craig Larman

Ändern wir die Struktur in unserem System nicht, also unterliegt der Rahmen keiner Veränderung, dann ist eine Änderung der Kultur nicht möglich. Achte mal auf die vielen Buchautoren, die immer noch davon schreiben, man könne Kultur verändern (ohne auf die Struktur Bezug zu nehmen oder es gar chronologisch in eine andere Reihenfolge bringen). Ich finde das sehr - sagen wir mal - interessant 🙂

Corona und Strukturen

Damit wir das ganze nun etwas plastischer machen können, werfe ich einen Blick auf eine Situation, die uns gerade alle berührt: Corona. Mutige These von mir: Ob wir Corona heil überstehen, hängt nicht von den Regeln (die wir für das Verhalten ableiten) ab, sondern von dem System (welches durch die Struktur aufgespannt wird) und der Reife und damit auch der gleichen Perspektive und Resonanz zueinander ab.

Regel

Wir kennen mittlerweile alle die AHA (oder auch AHA-L) Regeln. Jetzt sind Regeln erst einmal keine schlechte Sache. Ich weiß, woran ich mich halten kann und muss. Oder auch soll. Regeln müssen meistens zwei Dinge besitzen, damit diese gut funktionieren und angenommen werden:

  • Sie müssen für die einzelnen Menschen einen Sinn ergeben oder "logisch" (im weitesten Sinn "verständlich") sein.
  • Sie müssen zu dem Verhalten, basierend auf der existierenden Struktur, passen.

Der Diktator, der zu freier Wahl aufruft, aber keinen Rahmen dafür schafft, wird auch mit Regeln zur Wahl nur erfolgreich sein, wenn diese Regel in das System und damit die Struktur passen.

Wenn Regeln unsinnig werden

Ganz fatal können Regeln aus meiner Sicht werden, wenn diese

  • unsinnig
  • nicht nachvollziehbar oder
  • nicht einhaltbar

sind. Dazu gerne mal zwei Beispiele:

  • Es gibt in einer gewissen "Corona Stufe 2" für Kindertageseinrichtungen die Vorgabe, dass Geschwisterkinder immer zusammen betreut werden sollen und nicht in unterschiedlichen Gruppen aufgeteilt sein sollen. Der Gedanke ist gut: alle aus einem Haushalt sollen nach Möglichkeit zusammenbleiben. Nun sind die Regeln scheinbar von Personen aufgestellt, die die Realität (also das System) gar nicht so richtig kennen. Wenn meine Tochter und mein Sohn in der Schule noch mit anderen Kindern zusammensein dürfen, die sie auch nach der Schule wieder treffen - dann ist wenig Sinn darin zu sehen, sie in der gleichen Kindestageseinrichtung zu trennen.Werden Regeln unsinnig, beginnen sich Menschen mit dem Verhalten (welches das Ergebnis der Kultur ist) gegen diese Regeln aufzulehnen oder sie schlicht zu ignorieren. Ich kann sehr gut um diese Regeln "drumherum" arbeiten, da mich eine bisherige Struktur nur wenig bremst.
  • Wenn Kinder nur in Quarantäne müssen, wenn klar ist, dass Sie mit der Lehrkraft ohne Mundschutz über den Tag hin 15 Minuten oder länger Kontakt hatten, das rückwirkend aber überhaupt nicht nachvollziehbar ist, dann wird das niemanden wirklich interessieren bzw. bewegen sein Verhalten zu ändern. Oder führst du (bzw. dein Kind) ein Tagebuch über solche Ereignisse? Wahrscheinlich nicht.

Mit geht es jetzt weder darum, die Corona Politik und Entscheidungen schlecht zu reden, ich möchte nur auf diesen elementaren Grundsatz Kultur folgt der Struktur aufzeigen.

Wo ist die Struktur?

Im Grunde haben wir (in Deutschland) keine geänderte Struktur in der Gesellschaft nach Corona bekommen. Ja, es gibt Maskenpflicht. Ja, es gibt Regeln. Ja, es gibt (leichte) Strafen. Egal, wie wir es betrachten, wir haben keine wirklichen strukturellen Änderungen.

Wir sind aktuell aber auch in einem Lernprozess und ich denke, ein Umdenken und die empirischen Einblicke helfen natürlich, auch eine Struktur langfristig anzupassen.

Gut, wir merken es in Geschäften, wenn plötzlich nur noch zwei Personen in einen Laden dürfen. Während zu Beginn noch Sicherheitspersonal darauf geachtet hat (Änderung in der Struktur!), dass nur eine bestimmte Anzahl an Menschen einen Laden betreten oder einen Einkaufskorb nehmen, lässt dieser Trend schon lange nach. Es wird gedacht, wir hätten schon alles getan, die Menschen würden sich dran halten (Parallele: Wir zeigen dem Scrum Team halt einmal wie es geht, dann kann es das schon von ganz alleine).

Wir - und gerade die Politik - appelliert an das Verhalten der Menschen. Wir erinnern uns kurz - das ist ein Produkt der Kultur! Wenn wir an das Verhalten appellieren, ohne eine entsprechende Struktur, dann ist das Ergebnis ... so wie das, was wir nun haben. Es ist nicht erfolgreich.

Das ist nichts anderes, als wenn du in einem hierarchischen System an die Menschen appellierst, "nun bildet doch mal Teams". Einige probieren es vielleicht, solange sie die Struktur aber nicht unterstützt, fallen die früher oder später wieder zurück auf die Hierarchie.

Die Reife einer Gesellschaft

Wenn eine Gesellschaft sehr reif ist (vgl. mit einer hohen Teamreife in der Organisation) dann kann sie es ggf. alleine schaffen. Das ist aber das Gleiche, wie wenn du in einem Großkonzern von heute auf morgen etwas verändern willst - die Kultur folgt der Struktur!

Schau dir Start-Up's oder neue, kleine Unternehmen an. Dort ist das System und die Struktur anders, da kann es funktionieren. Das sehen wir auch in der Gesellschaft - in einigen Städten und Bereichen funktioniert es. In anderen nicht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in einige Städten und Landstrichen die Umsetzung unterschiedlich ausfällt.

Auch die Bildungsschichten, die Erfahrungen im Leben, persönliche Einstellungen und viele andere Aspekte wirken darauf ein. So habe ich das Glück in einem sehr guten Viertel zu wohnen, möchte und teile aber auch nicht alle Ansichten von Menschen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Reife ist als selten ein reines Produkt der Bildung, des Ortes oder ähnlichen Eigenschaften. Es geht viel um Moral, Prinzipien und Werte.

Beispiel für eine erfolgreiche Strukturänderung

Ein spannendes Erlebnis hatte ich neulich in der DB Lounge. Ich habe zwei Tische gesehen: ein Tisch für ca. 4 Personen hatte einen Appell an das Verhalten der Menschen: Bitte Abstand halten. Dann gab es mehrere kleinere (neuere) Tische, die nun plötzlich anders waren: ein Tisch, ein Stuhl. Das ist eine kleine Strukturänderung! Während es nicht lange dauerte und beim Füllen der Lounge sich der erste diesem Appell widersetzte und neben mir Platz genommen hat, blieb die strukturelle Änderungen von dem "alten" Verhalten verschont - die Struktur änderte hier vieles.

Normen und Strukturen

Um nicht nur ein Thema aus der Gesellschaft zu nehmen, möchte ich gerne ich hier noch ein berufliches Thema mit ins Spiel bringen. Die Normen. Auch bei den Normen und ich nehme hier mal Automotive SPICE als Beispiel, ist die Norm erstmal nicht gut oder schlecht. Menschen haben sich Dinge überlegt, um einen guten Rahmen zu schaffen und Fehler nicht mehr zu machen und besondere Hilfen zu geben.

Automotive Spice

Die Norm für sich genommen, dessen Anwendung in Unternehmen und ähnliche Rahmenbedingungen spannen ein System auf. Das Normen funktionieren verdanken sie einem bestimmten System, welches eine Struktur ableitet. Innerhalb dieser Struktur finden wir Unternehmen die eine Kultur ausgeprägt haben, in der Normen funktionieren.

Jetzt passiert ja aktuell etwas ganz spannendes. Jetzt haben wir Unternehmen mit einer Kultur (und einem Verständnis) warum Normen gut sind, warum sie getan werden müssen und wo sie helfen. Nun erweitert sich das System aber plötzlich: Agilität ist da! Auch das ist jetzt nicht schlecht oder gut, sondern zwei Systeme gelangen hier (in einer bestimmten Struktur) in Schwingung. Sie gehen also in Resonanz und tauschen Informationen aus. Durch das Einnehmen einer unterschiedlichen Perspektive können wir unterschiedliche Blickwinkel betrachten.

Und wir haben auf zwei Kulturen, die nun ihre Sichtweisen auf das Thema mitbringen. Wenn wir die Perspektiven nicht ändern und mit einem Systemverständnis von der einen oder anderen Seite auf die Gegenseite schauen, dann sind Missverständnisse vorprogrammiert.

Kultur für Scrum

Ich hoffe es ist klar geworden, dass du Scrum nicht einfach "machen kannst". Viele Unternehmen finden aber das "machen" gerade wertvoll (aus unterschiedlichsten Gründen). Doch es spielen viele Faktoren mit rein, die oft nicht berücksichtigt sind und bei fehlerhaften Umsetzungen Probleme erzeugen. Deswegen sind auch Scrum Skalierung im größeren Unternehmen nicht trivial - der zentrale Ansatz, alles mit einer Blaupause einzuführen wird nicht funktionieren, denn auch hier folgt die Kultur der Struktur!

Sebastian Schneider ist dem Framework Scrum - es war Liebe auf den ersten Sprint - bereits seit 2005 verfallen. Seitdem begleitet er Unternehmen (meist größere) bei der Transition in eine neue Arbeits- und Produktwelt.

Dafür findet er den richtigen Grad zwischen zielgerichteten systemischen Impulsen und dem nachhaltigen Coaching in der Organisation, um diese bei der Entwicklung und Optimierung des eigenen Kundenmehrwerts zu unterstützen und entwickelt mit ihnen Produkte, die ihre Kunden lieben.

Im richtigen Maß gehören dazu die effektive und effiziente Facilitation dazu, sowie agile Spiele und Simulationen, die sein Themenfeld auf einfache Art begreiflichen machen.

Auf Konferenzen, sei es im Fachbeirat oder als Akteur, gibt er gerne Erkenntnisse weiter und freut sich über Kontakte von Angesicht zu Angesicht.

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